Deine sexuelle(n) Persönlichkeit(en)

Beim Aufräumen meines Bücherregals ist mir ein Buch in die Hände gefallen, das ich seit über 10 Jahren besitze. Das Buch hatte ich gekauft, als ich auf Annie Sprinkle aufmerksam wurde. Sie ist eine der wichtigsten Figuren des sogenannten sexpositiven Feminismus.

Der Titel des Buches ist ein wenig irreführend, vermutlich reißerisch in der deutschen Übersetzung entstanden, er heißt „Nie wieder Blümchensex! Profi-Tipps für ein aufregendes Liebesleben“ (im Original: „Dr. Sprinkle’s Spectacular Sex–Make Over Your Love Life with One of the World’s Greatest Sex Experts“). Sehen wir uns das Buch zusammen näher an.

Als ich mir das Buch gekauft habe, habe ich sehr intuitiv gehandelt, ich wusste nicht direkt, wieso ich es brauchen würde. Ich befand mich gerade in einer Phase in meinem Leben, wo ich wusste, dass das, was ich im Bett oder sonst wo erlebt hatte, nicht alles war. Ich hatte meine erste Beziehung hinter mich gebracht, aus der viele Glaubenssätze in Bezug auf meine Schönheit, meine Sexualität und meine Rolle in der Sexualität meines Partners entstanden. Daraus wiederum resultierte große Unsicherheit.

Vor zehn Jahren las ich exakt nur bis zur Seite 66 und daraus schließe ich heute, dass das Thema damals zu groß für mich und meine Entwicklung war. Heute lese ich dieselben Seiten wieder und kann nur schmunzeln: heute verstehe ich mit meinem Verstand, meinem Herz und meiner Seele jedes einzelne Wort.

Über Annie Sprinkle könnt ihr euch selbst informieren und ein Bild machen. Ich finde, sie ist eine wahnsinnig spannende Frau, die selbst eine Reise hinter sich hat. Sie selbst hat eine sexuelle Entwicklung absolviert (nicht nur akademisch, sondern auch persönlich) und hat dieses Buch mit gut 50 Jahren geschrieben. Sie bezeichnet sich selbst als Spätzünder, kam mit knapp 20 in Berührung mit den Machern des berühmt-berüchtigten Porno-Skandalfilms „Deep Throat“ und war daraufhin selbst viele Jahre in der Sexbranche. Später wurde sie aktivistisch-künstlerisch tätig, hielt Vorträge, die unterhaltsam, provokant, aber auch edukativ waren. Irgendwo habe ich gelesen, dass sie auf unglaubliche 7.000 (in Worten: siebentausend) verschiedene Arten Sex hatte und ich würde sagen, das befähigt sie vermutlich dazu Bücher wie dieses zu schreiben, wie sie Frauen dazu bringt, sich und ihre sexuelle Persönlichkeit auf eine liebevolle Weise zu entdecken oder entwickeln.

Sie selbst war mit ungefähr 30 Jahren an dem Punkt, dass sie etwas ändern wollte. Für sich. Sie wollte sich mit ihren Ängsten, traumatische Erfahrungen, Problemen auseinandersetzen, gleichzeitig an ihrem Selbstbewusstsein arbeiten, um endlich ihre Gefühle und Bedürfnisse korrekt zu kommunizieren. Sie begann ihren Körper und sich selbst zu lieben und „die Geschenke entgegenzunehmen, die uns die Sexualität beschert“.

Sprinkle möchte Frauen begleiten, ihr erotisches Potential zu ergründen, um am Ende zu sagen: „Ja, ich habe spektakulären Sex!“

Was bedeutet aber spektakulären Sex zu haben? Sex kann laut Sprinkle die persönliche Entwicklung vorantreiben, ein Quell der Lebensfreude darstellen, eine Inspiration sein, intellektuellen Anreiz bieten, aber auch für emotionales Wohlbefinden und körperliche Gesundheit sorgen.

Der erste Schritt laut Annie Sprinkle ist, die eigene Einstellung zu reformieren. Es geht darum, positive Gedanken zu formulieren in Bezug auf die eigene Sexualität und die eigene Definition von Sex zu erweitern. Hier unterscheidet sie zB Körper-Sex von Energie-Sex sowie die Kombination daraus, den Körper-Energie-Sex.

Sie vergleicht auch Sex mit Essen und zwar gibt es für sie den Schnell-Sex (wie ein schneller Burger, macht auch satt), den Gesundheitssex („An orgasm a day keeps the doctor away“), den Comfort-Sex (total gemütlicher Sex, wo man sich einfach wohl fühlt) und den Gourmet-Sex (das 7-Gänge-Menü mit allem Spaßetteln und Weinbegleitung). Sie sagt es ist genauso wie in der Ernährung: man muss für Abwechslung sorgen, es soll bloß nicht einseitig sein.

Sie gibt Gedankenanstöße, die in die Richtung gehen, dass es in Bezug auf die eigene Sexualität besonders wichtig ist, sich selbst treu zu sein. Im Schritt davor geht es um die Erforschung der Glaubenssätze, also was man von den Eltern oder auch von einem früheren Partner, die einen geprägt haben, übernommen hat.

Seine eigene sexuelle(n) Identität(en) – hier ist Plural möglich! – zu entdecken oder entwickeln, setzt voraus, dass man sich dazu entschließt, Zeit zu investieren. Es geht schließlich um einen selbst. Hier schlägt sie vor, einen sogenannten Venus-Vertrag mit sich selbst abzuschließen, der darauf abzielt, die Ziele genau zu definieren: was möchte ich erreichen und wieso? Diesen Vertrag kann man immer wieder in Zeiten des Zweifels oder der Schwäche – weil man die alten Bahnen und Muster doch schon so gut kennt, wieso auf was Neues, Ungewisses einlassen – heranziehen und sich daran erinnern, was man und vorallem warum man ändern/verbessern/entwickeln wollte.

Ein weiteres Kapitel trägt die Überschrift „Entwickeln Sie Ihre sexuelle Persönlichkeit – Wie wollen Sie Glück finden, wenn Sie nicht danach suchen?“ – darin befindet sich eine kleine Übung, bei der man sich seinen Vorbildern oder Idolen nähert. Man schreibt auf ein Blatt Papier, welche Vorbilder in Bezug auf Sinnlichkeit oder Sexualität man hat, aus den Bereich „Schauspielerin“, „Romanfigur“, „Heldin“, „Politikerin“ – welcher Figur wollte ich immer ähnlich sein, weil ich ihre Weiblichkeit so bewundert habe? Damit kann man sich seiner eigenen idealen sexuellen Persönlichkeit nähern. Man könnte auch einen Schritt weiter gehen: erschaffe dein sexuelles Alter-Ego.

Das ist deine Kunstfigur, die für dich alles verkörpert, was du gut findest. Du könntest ihr auch einen Namen geben, eine Biographie hinterlegen, wo ist sie aufgewachsen, wie trägt sie ihr Haar, wie klingt ihr Lachen – du bist die Drehbuchautorin dieser Person! Das wäre eine weitere Möglichkeit, deine verborgenen Phantasien und Wünsche zu entdecken und vielleicht kommt dein Alter-Ego bei nächster Gelegenheit mal heraus.

Annie Sprinkle hatte im Laufe ihres Lebens drei Alter-Egos, die ihr dabei halfen, der Mensch zu werden, der sie immer sein wollte. Ich finde gerade diesen spielerischen Aspekt daran sehr ansprechend, weil man sich selbst besser kennenlernt und ohne Scham diese Persönlichkeit(en) in den Alltag einfließen lassen kann.

Wie denkst du darüber? Lass es mich in einem Kommentar wissen!

2 Gedanken zu “Deine sexuelle(n) Persönlichkeit(en)

  1. Darf ich ganz ehrlich sein? Für mich klingt das anstrengend… und etwas arg nach durchgestalteter Selbstoptimierung. Ist es nicht „wurscht“, ob ich auf drei oder 30 verschiedene Arten Sex habe und welchen „Kategorien“ mein praktizierter Sex zuzuordnen wäre, solange ich damit zufrieden bin?! Und ich bin, ehrlich gesagt, etwas skeptisch, ob dieser sehr „verkopfte“ Zugang (andere zum Vorbild nehmen, sich in die „ideale“ Rolle hineindenken) etwas daran ändert, wenn dem nicht so ist. Aber natürlich jedem das Seine!🙂 Danke jedenfalls für den interessanten Artikel! Lg, Sunnybee

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    1. Hi Sunnybee, das ist genau der Punkt: nur wenn du nicht zufrieden bist (und da kenne ich persönlich einige) mit deinem Sexleben und absolut keinen Plan hast, wie du das ändern kannst (da kenne ich persönlich noch mehr), dann können die Ideen von Annie Sprinkle eine Inspiration sein.
      Die Erschaffung eines Alter-Egos ist natürlich schon einen Schritt weiter, hilft aber, wenn man sich sonst nicht zufrieden, anziehend oder spannend findet. Man trainiert damit das Gehirn, sich so zu fühlen! Und der Körper zieht nach, weil er zwischen Realität und Gedanken nicht unterscheiden kann.

      Ich denke, dass gewisse Aspekte auus dem Buch auch für Menschen interessant sein können, die sagen, dass sie zufrieden sind. Eine gesunde Reflektion der Glaubensmuster in Bezug auf Sex sind für jeden Menschen gut.

      Alles Liebe und danke für deinen Kommentar!

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