Seit Anfang Mai 2020 stehen in Deutschland sogenannte „Konversationstherapien“ zum Umpolen von Homosexuellen unter Strafe. Eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr für das Anbieten, Bewerben oder Vermitteln solcher „Behandlungen“ ist vorgesehen.
Es ist ein wichtiges Zeichen für die Akzeptanz von Schwulen und Lesben in Deutschland. Denn da, wo keine Krankheit vorliegt, kann auch keine Therapie helfen. Traurig ist, dass man erst die Möglichkeit von rechtlichen Konsequenzen schaffen muss, um das immer wieder zu betonen. In Österreich sind wir noch nicht so weit. Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass das Personal in helfenden und beratenden Berufen ihre Berufspflicht „nach bestem Wissen und Gewissen“ ausübe und dass Konversionstherapien (unter welchem Deckmantel auch immer sie daherkommen) auch gegen Menschenrechte verstoße – und wer tut denn bitte so was?
Fakt ist, dass sexualpädagogische Angebote an österreichischen Schulen heute noch heteronormativ geprägt sind. „In Österreich gibt es eine starke und gut organisierte katholische Lobby, die sich sowohl in Instituten als auch im Internet Raum und Publikum verschafft“, schreiben Brigitte Theißl und Beate Hausbichler am 27. Mai 2020 im STANDARD.
Alles, von der (hier katholisch definierten) Norm Abweichende (sprich: was die Vater-Mutter-Kind-Familie bedroht) wird pathologisiert und bedarf Heilung oder zumindest Bekämpfung. Von Gruppen für Männer, „die unter ihrer Homosexualität leiden oder sie aus Glaubensgründen nicht ausüben wollen“ ist im STANDARD-Artikel die Rede. Wenn ich so etwas lese… dann möchte ich die Treiber solcher Aussagen herzlich dazu einladen, mit mir gemeinsam alle zwei verfügbaren Staffeln von „Sex Education“ zu binge-watchen. Ja, in einem durch.
Die Netflix-Serie ist ein Gesamtkunstwerk, geprägt durch unglaublich gute SchauspielerInnen. Jeder Charakter darin wäre eine längere Abhandlung wert, aber um in dieser Debatte zu bleiben, picke ich mir den Charakter von Eric Effiong heraus.
Eric ist der beste Freund der Hauptfigur Otis, die beiden Jungs kennen sich seit sie klein sind und gehen durch Dick und Dünn. Inzwischen sind sie 16 Jahre alt (Staffel 1). Er wäre ein Hingucker an jeder Schule, so viel steht fest: Eric ist extrovertiert, bunt und lustig und geht offen mit seiner Homosexualität um. Dafür wird er vom Schulproblem-Kind Adam auch jahrelang getriezt. Aber dazu kommen wir noch.
Was ich an Eric so außergewöhnlich finde, ist seine positive Art. Obwohl er immer wieder auf Ablehnung, Mobbing und sogar Gewalt auf offener Straße erlebt aufgrund seiner Homosexualität, rappelt er sich wieder auf und strahlt bei seinem großen Auftritt am Schulball. Er begleitet seine große, laute Familie auch wieder mit zum Gottesdienst, weil er sich dort wieder sicher ist, dass er geliebt wird, wie er ist.
Zu seinem früheren Peiniger an der Schule, Adam, sagt Eric – aufgebrezelt, am Weg zum Schulball – einen Schlüsselsatz: „Schau, ich werde sowieso verletzt. Ist es nicht besser, dabei ich selbst zu sein?“ Mit genau dieser Größe und gelebtem Selbstbewusstsein verändert Eric die gesamte Atmosphäre und entlarvt Adam, der aus seinem lebenslangen Gefühl von „nicht geliebt werden“ sich selbst nicht leiden kann und es besonders an Eric auslässt. Besonders schlimm wird es, als er feststellen muss, dass er mit seiner Vorzeige-Freundin sexuell nicht viel anzufangen weiß, sondern sich eher zum Paradiesvogel Eric hingezogen fühlt.
Adam versucht durch auffälliges Prahlen und machoides Kräftemessen seine Unsicherheit zu überspielen, versucht jemand zu sein, der er nicht ist. Erst als sich einige Dinge in Adams Leben, die auf ihn wie eine Blockade gewirkt haben, verschieben, nimmt er all seinen Mut zusammen und will dazu stehen, wer er ist: der Mensch, der Eric zum Lachen bringen und in der Öffentlichkeit seine Hand halten will.
An Eric und Adam zeigt sich sehr gut, durch welche Krisen ein heranwachsender Homosexueller auch heute noch gehen muss, bevor er reinen Herzens sagen kann: „Ja, das bin ich und daran ist nichts Schlechtes!“
Ein wichtiger Aspekt ist jedoch der Rückhalt der Familie – und das ist ein Appell an uns alle. Wir alle stehen in familiärer Beziehung und tragen auch Verantwortung. Wenn ein junger Mensch nicht die Bestätigung zu Hause bekommt, dass er geliebt wird wie er/sie eben ist, hat er/sie einen jahrelangen Kampf vor sich und zwar den Härtesten, den es gibt: mit und gegen sich selbst. Man kann nicht ändern, abtrainieren, korrigieren, wer man ist, wie man fühlt und wen man liebt.
Diesen und viele weitere Aspekte adoleszenter Sexualität(en) skizziert die Serie „Sex Education“ – rasantes Tempo, beißender Witz und ein hervorragender Soundtrack. Es gibt also keinen Grund, diese Serie nicht zu sehen und zu lieben.